Aus der oben genannten Definition geht hervor, dass es sich bei der Psycho-Physiognomik nicht «nur» um das Gesichterlesen handelt. Es gibt meiner Ansicht nach kaum ein anderes Wort, außer vielleicht «Ausdruckspsychologie» oder «physiognomische Psychologie», das den Kern des Themas so präzise beschreibt wie «Psycho-Physiognomik». Andere Bezeichnungen wie z.B. «Gesichterlesen» und Ähnliches lenken den Fokus lediglich auf das Gesicht und lassen andere ebenso wichtige Elemente (wie z.B. Konstitution, Ausstrahlung, Körpersprache etc.) außer Acht. Das Gesichterlesen bezieht sich dann auf das psycho-physiognomische Hauptgebiet «Körper-, Kopf- und Gesichtsausdruckskunde» (siehe unten).
Wir verstehen die Psycho-Physiognomik als Wechselwirkung von Innen und Aussen sowie als Lehre der Erscheinung und deren Interpretation. Entsprechend beinhaltet sie folgende Hauptgebiete:
- Körper-, Kopf- und Gesichtsausdruckskunde
Hier werden die Formelemente von Körper, Kopf und Gesicht betrachtet und insbesondere deren Ausstrahlung und Ausdruck (Spannung, Gewebe, Falten etc.) für eine Analyse mit herangezogen.Hierher gehören sämtliche Begriffe wie Gesichterlesen, Naturelle, Konstitutionslehre, Neu-Phrenologie (Schädelausdruckskunde) etc., sofern sie sich nach Carl Huter orientieren. Unter Naturell ist der Grundtyp zu verstehen.
- Antlitzdiagnostik – die Krankheitszeichen im Gesicht
Die Nuancen der Gesichtsfärbungen, Falten Schwellungen, Grübchen etc. geben Aufschluss über eventuelle körperliche Störungen oder lassen tendenziell auf die seelische Verfassung des Patienten schließen. Die meines Erachtens heute bekanntesten Autoren und Systeme/Methoden in der Antlitzdiagnostik sind:- N. Ferronato – Patho-Physiognomik. Der Schweizer Naturarzt Natale Ferronato hat in 60-jähriger Forschungsarbeit die Patho-Physiognomik als wertvolle Hinweisdiagnostik begründet. Patho-Physiognomik ist die Lehre der organ- und funktionsspezifischen Krankheitszeichen im Gesicht.
- K. Hicketier – Antlitzanalyse in der Biochemie (unter Einbeziehung der Schüßlersalze)
- E. G. Altmann – Einführung in die Kranken-Physiognomik
- H. D. Bach – Äußere Kennzeichen innerer Erkrankungen
- A. Markgraf – Die genetischen Informationen in der visuellen Diagnostik
- F. W. Tischdorf – Blickdiagnostik in der klinischen Inspektion und Differenzialdiagnostik
- Chinesische Antlitzdiagnose
- Sämtliche Arten der Kommunikation
Das große Gebiet der Kommunikation kann wiederum in drei Hauptbereiche unterteilt werden: die verbale, nonverbale und paraverbale Kommunikation. So betrachtet gehören also Körpersprache, Mimik, Gestik, Verhalten, Handlungen, Stimme etc. ebenso zur Psycho-Physiognomik. - Psychosomatik
Unter Psychosomatik versteht man körperliche Erkrankungen oder Beschwerden, die durch psychische Belastungen hervorgerufen werden. Die Psyche wird hier als Ursache körperlicher Krankheiten und Störungen betrachtet, wobei noch weitere Hauptbereiche unterschieden werden (siehe Morschitzky & Sator 2010). - Zeichnungen
Als Erstes mag uns hier der Baum-Test einfallen (Koch 1997). Wenn ein Psychologe einen Baum-Test ausführen lässt, regt er damit die Persönlichkeit des Zeichners zu einer unbewussten Aussage über sich selbst an. Ausgestattet mit einem weißen leeren A4-Papier und einem Bleistift erhält der Proband den Auftrag: «Zeichne einen Baum.» Die Art der Darstellung und auch des Striches ist diagnostisch auswertbar. Doch auch andere Freihandzeichnungen kann man heranziehen. Jedes von Hand gezeichnete Bild hat eine eigene Geschichte, die uns besser verstehen lässt, warum dieses Bild gerade jetzt in dieser Form gestaltet wurde. Gerade bei Kindern kann dieses Bildanalyseverfahren oft als wichtiges Kommunikationsmittel eingesetzt werden. - Grafologie
Grafologie ist die Lehre von der Handschrift als Ausdruck der Persönlichkeit und zeigt, wie aus der Handschrift eines Menschen bestimmte Bereiche seiner Persönlichkeit gedeutet werden können. Sie ist eine gängige Methode in der Psychodiagnostik und in Rekrutierungsverfahren. - Sonstige Erscheinungen, Leistungen und Äußerungen, die vom Menschen ausgehen. Auch das Hand- und Fußlesen, die Irisdiagnostik und vieles mehr gehören vom Grundprinzip her zur Psycho-Physiognomik.
Um die Ausstrahlung oder Energie messen, werten und interpretieren zu können, entwarf Carl Huter ein System, das er mit dem Begriff Kraft-Richtungs-Ordnung bezeichnet. Dies ist das Kernstück und überhaupt eine der spannendsten Theorien in der Psycho-Physiognomik. Es behandelt die Energien und Kräfte der Seele, die im Verborgenen wirken, aber über die Ausstrahlung des Menschen wahrnehmbar werden.
Hier treten wir über die materielle Gestalt des Menschen hinaus und beziehen die spezifischen Energien, die im Menschen wirksam sind und in seiner Ausstrahlung zutage treten, in die Betrachtung mit ein. Diese 10 verschiedenen Vitalkräfte haben Einfluss auf alle Bereiche der Psycho-Physiognomik und wirken sowohl auf biologischer (körperlich-organischer) wie auch auf der psychischen Ebene.
Bei einer psycho-physiognomischen Analyse ist es wichtig, nicht nur die Körper-, Kopf- und Gesichtsformen zu berücksichtigen, sondern es müssen, wie in einer patho-physiognomischen Analyse, auch die anderen Eigenheiten des Gewebes mitberücksichtigt werden, wie z.B.:
- Hautqualität. Diese wird wiederum in verschiedene Ausdrucksarten unterteilt mit entsprechenden Ausdrucksmöglichkeiten:
- Spannung (von zu stark gespannt, gespannt, entspannt, spannungslos bis hängend und schlaff)
- Faltenbeschaffenheit (von glatt bis faltig)
- Gewebebeschaffenheit (von grob bis fein)
- Strahlung. (von durchsichtig, glasig, wässerig, fettig, trocken, matt, glänzend, vital, strahlend bis ausgeglichen)
- Farbnuancen. Hierbei unterscheidet N. Ferronato (2011) Weiß, Gelb, Orange, Hellbraun, Braun, Grau, Rot, Violett, Grün und Blau.
So kann z.B. eine Nase allein bei der Formbetrachtung verschiedenste Varianten zeigen; sie kann lang, kurz, schmal, breit sein oder unten breit und oben schmal oder umgekehrt. Das Formgewebe kann folgende Ausdrucksqualitäten aufweisen: Schwellung, aufgequollen, Eindellung, Gewebeeinziehung etc. Die Nase kann dann nicht für sich alleine gedeutet werden, sondern es müssen alle anderen Ausdruckszonen für eine psycho-physiognomische Feststellung miteinbezogen werden.